Marguerite Long: Ratschläge für angehende Pianisten

Um die Technik zu verbessern, reicht es nicht aus, viele Stunden Übungen zu spielen. Es ist notwendig, Kräfte für die restliche Arbeit zu schonen.

Es ist verlockend, das zu üben, was man bereits gut kann. Widerstehen Sie dieser Versuchung, sonst werden Sie keinen Erfolg haben.

Beachten Sie, dass das Beseitigen einer technischen Schwäche hilft, alle anderen Schwächen zu beseitigen. Kennen Sie Ihre Schwachstellen und gehen Sie entschlossen auf sie zu.

Diejenigen, die denken, dass ihre Technik nach einer halben Stunde oder sogar einer Stunde Übungen am Morgen abgeschlossen ist, liegen falsch.

Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es notwendig ist, den täglichen Unterricht mit Übungen zu beginnen. Die "Behandlung" der Technik wird effektiver, wenn die Übungen vernünftig über den gesamten Arbeitstag verteilt werden.

Unterbrechen Sie von Zeit zu Zeit das Erlernen eines künstlerischen Werks und kehren Sie zur Überwindung bestimmter technischer Schwierigkeiten zurück - Sie werden schneller und mit weniger Kraftaufwand Erfolg haben.

Beachten Sie beim Studium technischer Übungen die folgenden Ratschläge:

  1. Die Sitzhöhe sollte eine horizontale Handposition ermöglichen.

  2. Übungen werden ohne Pedal gespielt.

  3. Belasten Sie Ihre Hand nicht. Wenn Sie müde sind, ruhen Sie sich aus oder wechseln Sie die Art der Übung.

  4. Beim Spielen in einem langsamen Tempo, forte oder piano, drücken Sie den Finger tief in die Taste.

  5. Denken Sie nicht nur an das Schlagen des Fingers, sondern auch an das Anheben. Es ist genauso wichtig, die Hand von der Tastatur zu entfernen, wie sie abzusenken. Die erste Fähigkeit ist Voraussetzung für die zweite. Um Leichtigkeit in der Ausführung zu erreichen, ist es hilfreich, am Anfang der Arbeit die Artikulationsklarheit zu übertreiben. Die Lautstärke verringert sich mit zunehmender Temposteigerung.

  6. Kontrollieren Sie Ihren Daumen, den zweiten Finger, und kippen Sie die Hand nicht zum kleinen Finger, damit dieser seine eigene Schlagkraft behält.

  7. Kontrollieren Sie ständig die Flexibilität Ihrer Hand. Sie sollte vom Schultergelenk bis zum Handgelenk frei sein. Spielen Sie nicht mit hochgezogenen, "steifen" Schultern.

  8. Arbeiten Sie, indem Sie die Bewegung allmählich beschleunigen, kehren Sie jedoch oft zum langsamen Tempo zurück.

  9. Zählen Sie! In den Übungen sind die starken Schläge Stützpunkte und Ausgangspunkte für die Fingerbewegungen. Betonen Sie! Klarheit des Rhythmus fördert die Klarheit der Finger.

  10. Spielen Sie die Übungen ausdrucksstark! Hören Sie auf sich selbst!

Diese Anweisungen spiegeln das Wesen unserer Arbeit wider und geben dem gewissenhaften Musiker Anlass zum Nachdenken und helfen ihm zweifellos, das Geheimnis großer Pianisten zu meistern – die Fähigkeit zu arbeiten!

Abschließend möchte ich mich noch einmal an alle gutwilligen Pianisten wenden, die von dieser Arbeit profitieren möchten. Es gibt keine einzige und erschöpfende Methode, um die Kunst des Klavierspielens zu erlernen.

Oft heißt es: Technik ist die Arbeit der Vorstellungskraft. Darin liegt ein Stück Wahrheit. Man kann zum Beispiel wunderbare technische Formeln erfinden, die sich aus den Werken ergeben, die man studiert. Diese unzähligen kleinen Entdeckungen haben ihren Sinn. Sie sind jedoch gefährlich, wenn der Pianist glaubt, dass sie Übungen oder traditionelle Etüden ersetzen können.

Das Studium eines Werkes beschränkt sich nicht nur auf technische Aufgaben. Klangfülle, Stil, Schönheit der Phrase, Fülle des Klangs, Harmonien, edler Rhythmus, Gleichgewicht der Teile – das sind die Ziele, die ein Pianist anstreben sollte, um die Absicht des Autors wiederzugeben. Dafür sollte der Interpret von technischen Sorgen befreit sein.

Diese Freiheit wird durch das kontinuierliche Studium der Formeln erreicht, die in den Etüden der großen Klaviermeister enthalten sind. Obwohl Bachs "Wohltemperiertes Klavier" oder Chopins Etüden für die Bildung eines Virtuosen und Musikers unerlässlich sind – diese Gipfel der Klavierliteratur – können sie Chernys "Schule der Fingergewandtheit" und "Schule des Virtuosen" nicht ersetzen.

Um Meisterschaft zu erreichen, ist viel Arbeit und Geduld erforderlich. Vergessen Sie nicht Demut und Respekt für Traditionen.

Diesen einfachen Wahrheiten habe ich mich unterworfen, und ich habe sie in die Praxis umgesetzt.

Aus La petite méthode de piano, Salabert, 1963
Marguerite Long

Zurück
Zurück

Marguerite Long

Weiter
Weiter

Anna Artobolewskaja